Patientenverfügung für natürliches Lebensende

Ist die Patientenverfügung (PatVerf) ein geeignetes Instrument, sein natürliches Lebensende mitzubestimmen?

Das natürliche Lebensende wird entweder im hohen Alter – oft begleitet von (chronischen) Krankheiten – eintreten oder es ist nach mehr oder weniger langem Leiden die Folge einer un­heilbaren Krankheit.

Mittels PatVerf kann jemand bestimmen, welche medizinische Maßnahme(n) er in einer gewissen gesundheitlichen Situation ablehnt – insbesondere wenn er dann nicht einsichts- und urteilsfähig sein wird und oder sich nicht wird mitteilen können.

Unter Maßnahmen fallen Beatmung, Wiederbelebung bei Herzstillstand oder Sondenernährung, aber auch jede andere Therapie (von gängigen Medikamenten angefangen bis Chemotherapie, Bestrah­lung, oder Operation) und sogar Physiotherapie oder das „Heraussetzen“ von bereits bis auf die Knochen abgemagerte Pflegefälle. Weil das Ablehnen von Maßnahmen dem medizinischen Sachver­stand widerspricht, müssen sich Ärzte nur daran halten, was in der PatVerf eindeutig geschrieben steht. Ärzte werden stets „Maßnahmen“ ergreifen die nicht explizit angeführt sind, weil sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen möchten, eine mögliche Behandlung unterlassen zu haben. Aber nicht einmal ein Arzt kann alle Maßnahmen aufzählen, die jemand an seinem Lebensende wird ablehnen wollen – und ein Laie kann das sicher nicht. Es stellt sich also die Frage welche Maßnahme in einer PatVerf beschrieben wird, die der Verfasser einer PatVerf ablehnen möchte.

Weiters ist in der PatVerf die Situation zu beschreiben, in welcher jemand die genannten Maßnah­men ablehnt. Wer aber kennt im Voraus die gesundheitliche Situation in der sich ein geriatrischer Patient vor seinem Lebensende befinden wird (z.B. dement, immobil, harn- und stuhlinkontinent, Schmerzen leidend, psychisch verändert nach Verlust des Ehepartners oder von Kindern).

Wie also soll jemand jetzt (bei guter Gesundheit) mittels PatVerf über sein erst in ferner Zukunft liegendes natürliches Lebensende mitbestimmen?

Nicht demente Personen werden auf das eigene natürliche Ableben bewusst zugehen. Das wird ei­ne ganz andere Situation sein als jetzt zum Zeitpunkt des Erstellens einer PatVerf. Sie wird bestimmt sein von bereits Durchgemachtem und Erlebtem, sie kann geprägt sein von Erfahrungen wie Immobili­tät, Schmerzen oder Schwäche und ist beeinflusst von Gedanken, mit denen sich der vor seinem Lebensende Stehende dann schon geraume Zeit auseinandergesetzt haben wird.

Es macht einen Unterschied, ob jemand eine PatVerf erstellt, weil er als relativ junger, gesunder Mensch entscheidet lieber an den Folgen eines Akutgeschehens wie Unfall, Schlaganfall etc. zu ster­ben als über Jahre oder Jahrzehnte ein Pflegefall zu bleiben – oder aber, ob ein alter, kranker Mensch der bisher schon viel gelitten, erlebt und überlebt hat, sein natürliches Lebensende mitbestimmen möchte.

In den Köpfen aller Beteiligten (Patient, Angehörige und Ärzte) sind Lebensende, Sterben und Tod immer Themen mit negativer Konnotation. „Ärzte haben den Kampf um das Leben des Patienten verloren.“ „Er musste sich seiner Krankheit geschlagen geben“. Deshalb wird sich der Betroffene selbst, kaum trauen, bestimmend einzugreifen. Wenn er sich aber doch dazu entschließt mittels PatVerf das Unterlassen von Maßnahmen zu verlangen, was eventuell (relativ rasch) zu seinem Tod führen wird, dann will er sich auch darauf verlassen können, dass Ärzte seinen Wunsch respektieren, nicht lange leiden zu müssen. Aber genau das kann auch eine PatVerf aus oben beschriebenen Gründen nicht zusichern. Denn fast immer ist festzustellen, dass weder die dann aktuell zu unterlassende medizinische Maßnahme in der PatVerf beschrieben ist, noch die gesund­heitliche Situation des Patienten mit der in der PatVerf beschriebenen Situation übereinstimmt, sodass keineswegs gesichert ist, dass der behandelnde Arzt (z. B. im Spital) lebensverlängernde Maßnah­men unterlassen wird.

Ein Blick auf einige „Pro“ und „Kontra“ Argumente für das Errichten einer PatVerf lässt erahnen, weshalb es kaum möglich ist, vorab verbindliche Direktiven zu geben die später – am natürlichen Lebensende – zum Einsatz kommen sollten.

Betrachten wir Gründe für das Erstellen einer PatVerf. Jemand macht eine PatVerf, zB weil er

  • sein Selbstbestimmungsrecht ausüben möchte;
  • dem medizinischen Imperativ des technisch Machbaren entgegentreten möchte;
  • am Lebensende nicht (lange) leiden möchte;
  • seinen Angehörigen weder physisch noch psychisch aber auch finanziell nicht zur Last fallen will;
  • eine Entscheidung mit nicht umkehrbarer Konsequenz vorab rationell treffen möchte und sie nicht erst zum aktuellen Zeitpunkt – von Emotionen mitbestimmt – wird treffen wollen;
  • nicht als willenloses Wesen leben möchte.

Bewusst keine PatVerf macht man zB aus folgenden Gründen: Ich mache keine PatVerf, weil

  • Ärzte besser wissen werden, was für mich dann getan werden kann/getan werden soll;
  • alles getan werden soll, damit ich nicht sterben muss, ich möchte um jeden Preis am Leben bleiben;
  • es dann vielleicht medizinische Möglichkeiten geben wird, die man heute noch gar nicht mitberück­sichtigen kann;
  • ich eine Entscheidung nicht selbst treffen möchte, die wahrscheinlich zu meinem Tod führt;
  • ich meine Angehörigen für mich entscheiden lassen möchte.

ärztliche Aufklärung ist für die verbindliche PatVerf gesetzlich verpflichtend

Ob medizinische Maßnahmen erfolgreich sein werden, oder den geriatrischen Patienten nur zusätzlich belasten werden, kann kein Arzt vorhersagen. Andererseits kann sich der Gesunde trotz bester ärztlicher Erklärung und Aufklärung nicht vorstellen, was er dann – bei Eintritt der bestimmten Situ­ation – spüren und empfinden wird, und was er deshalb von Ärzten wird verlangen wollen. Somit stellt sich für mich die Frage welchen Sinn die gesetzlich geforderte ärztliche Aufklärung vor Erstellen einer PatVerf überhaupt macht.

Schließlich weise ich auch auf Instabilität von Patientenpräferenzen hin: Es kommt sehr oft vor, dass jemand heute (noch weit von der Realität entfernt) aufgrund rationaler Überlegungen medizinische Maßnahmen ablehnt, die er dann aber als Patient – in der „Stunde der Wahrheit“ – sehr wohl wünscht. Solch ein „Gesinnungswandel“ ist verständlich weil er durch aktuelle Lebensumstände bestimmt ist und er ist deshalb auch immer legitim.

Aus den beschriebenen Gründen erachte ich die PatVerf in ihrer derzeitigen bürgerfernen Form, insbesondere wegen obgenannter gesetzlicher Vorschriften, nicht für das geeignete Instrument mit welchem jemand über sein natürliches Lebensende mitbestimmen kann.

Eine Alternative zur PatVerf könnte für geriatrische Patienten in Zukunft Advance care planning (ACP) darstellen. ACP bedarf aber einer Systemänderung – und eine solche dauert lange. Zu lange für Menschen, die heute über ihr natürliches Lebensende mitbestimmen möchten.

In Wirklichkeit ist Mitbestimmen am natürlichen Lebensende (nicht zu verwechseln mit Sterbehilfe!) ein über die letzten Lebenswochen hindurch andauernder intensiver Prozess den Patient, Pflegeper­sonen und Angehörige gemeinsam mit dem behandelnden Arzt erarbeiten, der das Ergebnis dieses Prozesses letztlich respektiert bzw. befolgt.

Es ist allemal vernünftiger den natürlichen Verlauf mit Medizin zu begleiten, als auch nur zu versuchen die Natur mit Medizin besiegen zu wollen.

Tipp: Für den geriatrisch-palliativmedizinischen Bereich empfehle ich anstatt einer PatVerf eher eine Vertrauensperson mit Vorsorgevollmacht auszustatten u.zw. für medizinische Belange und für die Bestimmung des Wohnortes (eigene Wohnung, Altenheim, Pflegeheim, Hospiz, etc.).

2 Gedanken zu „Patientenverfügung für natürliches Lebensende“

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