Verweigerung der Nahrungsaufnahme

NahrungsverweigerungImmer wieder kommt es vor, dass Pflegefälle oder an Demenz erkrankte Personen die Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung aber auch die Einnahme von Medikamenten ablehnen oder sogar strikt verweigern. Damit bringt der alte Mensch Angehörige, Pflege­personal wie auch Ärzte zur Verzweiflung. Die Umwelt kann das Verhalten des Nahrungs­verweigernden mit Sturheit, Ausüben von moralischen Druck auf Angehörige und vieles andere beschreiben. Aber was möchte der Patient bzw. was möchte uns der Patient mitteilen? Zur Beantwortung dieser wichtigen Frage bedarf es der Abklärung, der Diskussion oder des Diskurses was denn der Grund für die Nahrungsverweigerung ist.

Ursache suchen

Vorab ist festzustellen, ob behebbare, krankhafte Veränderungen im „mechanischen Bereich“ des Schluckaktes vorliegen. Schmerzhafte Schleimhautveränderungen in der Mundhöhle (Aphten,  Infektionen, Schmerzen bedingt durch Restzähne oder Veränderungen im Kieferbereich); Schleimhautveränderungen oder Engstellen in der Speiseröhre; Magenschmerzen nach Nahrungsaufnahme und es ist auch  sicher zu stellen, dass keine Lähmungen (z. B. nach Schlaganfall) vorliegen, die Schluckstörungen verursachen oder den Schluckakt gänzlich unmöglich machen. Verspürt der Patient kein Hunger- und/oder Durstgefühl? Schmeckt ihm das angebotene Essen vielleicht nicht, weil er seinen Geschmackssinn verloren hat? Möchte er gefüttert werden oder will er sogar, dass ihm nur bestimmte Personen das Essen bringen bzw. dass nur gewisse Familienmitglieder ihn füttern, um so Druck auf Angehörige auszuüben? Ist es vielleicht ein exzessiver Ausdruck des Charakterzuges „Sturheit“? Verlangt er mit seinem Verhalten nach generell mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung? Oder aber belässt er Bissen im Mund, weil der Demente „vergessen hat, wie man schluckt“ oder weil er gar nicht schlucken möchte (passive Verweigerung)? Vielleicht aber haben wir es mit aktiver Verweigerung der Nahrungsaufnahme zu tun, in Form von Zusammenpressen der Lippen oder durch Zurückspucken der Nahrung. Es gibt also eine Vielzahl von möglichen Ursachen für Verweigern der Nahrungsaufnahme; und gar nicht wenige dieser Ursachen drücken ja recht deutlich den Patientenwillen aus, den er selbst meist nicht mehr artikulieren kann, oft aber auch nur nicht aussprechen möchte. Wenn Verweigern der Nahrungsaufnahme mit Aussagen einhergeht, wie: „mir kann man nicht mehr helfen“, dann sendet der Patient ein unmissverständliches Zeichen, dass er nicht mehr weiterleben möchte oder keine Kraft zum Weiterleben mehr aufbringen kann.

Patientenwille

Jetzt stellt sich die Frage, ob wir (Vertretungsberechtigte, Angehörige, Pflegepersonen und Ärzte) uns über den Patienten­willen hinwegsetzen dürfen, um einfach das zu tun was uns nach unserer Betrachtungsweise und aufgrund unserer Lebenserfahrung vernünftig erscheint. Oder ist es nicht eher unsere Pflicht im Sinne der Patientenautonomie den Patientenwillen zu erkunden und zu respektieren? Den Patientenwillen herauszufinden, das ist für Angehörige in keinem Fall einfach. Nicht wenn der Patient zwar darüber sprechen könnte, aber das Gespräch eröffnet werden muss und dann fachlicher Führung bedarf, aber auch nicht, wenn der Patient nicht mehr imstande ist, seinen Willen zu äußern.

PEG-Sonde

Heute schon fast allmächtige Medizin kann auch mit diesem Problem „leicht fertig werden“. Die Zauberformel heißt hier (vgl. meinen Artikel) PEG-Sonde. Die PEG-Sonde löst zwar rasch,  „einfach“, „kostengünstig“ und „effektiv“ das Problem, welches die Umwelt des Patienten mit dessen Verhalten hat. Aber ob eine Ernährungssonde auch das Problem des Patienten löst, diese Antwort bleibt dabei meist auf der Strecke. Ärzte stellen Angehörigen und Rechtsvertretern einer nicht mehr entscheidungs- und einwilligungsfähigen Person die PEG Sonde oft auch als „ultima Ratio“ hin, und sie „erklären“: nur so wäre der Patient „vor dem Verhungern“ zu bewahren. Das ist natürlich unrichtig. Niemand, auch nicht wenn er an Demenz erkrankt ist, muss im 21. Jahrhundert in Mitteleuropa verhungern. Palliative Begleitung wird dafür sorgen, dass auch Sterbende nicht an Durstgefühl oder Hunger leiden müssen. Ärzte, die das natürliche Sterben nicht zulassen wollen, unterstützen mit solch einem paternalistischen Verhalten meist nur „Pflegeökonomie“ und sie übergehen den Willen des Patienten. Der Patientenwille wird entweder gar nicht erkundet oder schlicht missachtet.

Was bewirkt die PEG-Sonde beim Patient?

Ob orientiert oder desorientiert – jeder Mensch weiß, empfindet oder bemerkt zumindest irgendwann, dass er keine Nahrung mehr schluckt. Wird ihm eine PEG-Sonde gelegt, muss er die Demütigung hinnehmen, auch gegen seinen Willen ernährt zu werden. Er erkennt seine Ohnmacht, sich dagegen nicht mehr wehren zu können. Meist verliert er auch die persönliche Zuwendung durch das Pflegepersonal, weil die „Technik des Fütterns durch die Sonde“ keinen Patientenkontakt mehr erfordert. Dass es bei Ernährung durch die PEG Sonde keine Möglichkeit mehr gibt Geschmack einer Nahrung wahrzunehmen ist ebenso Tatsache, wie dass der Patient keine Konsistenz der Nahrung mehr spüren kann, geschweige denn sehen könnte, wie eine „Speise“ angerichtet ist.

Tipp:

Vertretungsberechtigte müssen derartige Entscheidungen nicht selbst und nicht alleine treffen. Einerseits sollen sie sich später keine Gewissensbisse oder Selbstvorwürfe machen müssen ob ihre Entscheidung richtig war, wenn sie gegen eine PEG-Sonde gefallen ist. Andererseits sollten ihnen die Folgen erklärt werden, wenn sie für die PEG-Sonde entscheiden – nämlich dass der Patienten mit einer PEG-Sonde noch jahrelang am Leben erhalten werden kann. Vorsorgebevollmächtigte können entweder ein Angehörigen-Coaching in Anspruch nehmen, oder man ersucht das Betreuunggericht die Entscheidung zu fällen/zu genehmigen. Das Gericht wird dann ein ärztliches Gutachten einholen. Haben der Patient und die Angehörigen Glück, dann wird ein erfahrener Sachverständiger für Geriatrie/Pflegewesen bestellt. Leider kommt es aber auch vor, dass der Sachverständige nur die „Empfehlung“ des behandelnden Arztes übernimmt.

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Vorsorgen

Wer heute jemand – bei guter Gesundheit – daran denkt, später einmal die Ernährung über eine PEG-Sonde ablehnen zu wollen, dann sollte er das in seine Patientenverfügung aufnehmen. Er kann dazu sein subjektives Gefühl (Ablehnen der PEG-Sonde) mit dem objektiv berechneten Ergebnis bei www.pflegefall-tool.at vergleichen. PFLEGEFALLTOOL ist eine online-Anwendung (seit 2016 online) die jeder – ohne medizinische Vorkenntnisse – verwenden kann. Sie ist derzeit noch kostenlos. Man muss sich nur mit seiner Emailadresse registrieren und im Hauptmenü bei Code einlösen, den Code „FACULTAS“ eingeben, sowie die Abfrage personalisieren, weil der Ausdruck der Abfrage durch eigenhändige Unterschrift zu einer Patientenverfügung gemacht werden kann.

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