Auch im täglichen Sprachgebrauch ist es notwendig, deutlich zwischen Sterbehilfe und Suizidhilfe zu differenzieren und die beiden Begriffe strikt voneinander zu trennen. Sterbehilfe ist der undefinierte Oberbegriff über „aktive Sterbehilfe“ (d.i. Tötung auf Verlangen, § 77 StGB) und über „passive Sterbehilfe“, bestehend aus Unterlassen von lebensrettenden Maßnahmen (wegen Ablehnung durch Patient, oder wegen gültiger Patientenverfügung, straffrei) und Beihilfe zur Selbsttötung (§ 78 StGB zweiter Fall). Der Oberbegriff „Sterbehilfe“ umfasst auch „indirekte Sterbehilfe“ (zum Erreichen eines Therapieziels, zB Schmerzlinderung, nimmt man in Kauf, dass dadurch die Lebenszeit des Patienten eventuell verkürzt werden könnte, ist straffrei).
Das Dialogforum beschäftigt sich also nicht mit „Sterbehilfe“ schlechthin, sondern aufgrund des VfGH Urteils nur mit Straffreiheit für „Suizidhilfe“ bzw. straffreier „Beihilfe zur Selbsttötung“. Wäre der bislang für jeden verständliche Begriff „Selbstmord“ nicht aus mir unerklärlichen Gründen in das diskriminierende Eck verbannt, würde ich sagen, dass es nicht um den undefinierten Begriff „Sterbehilfe“ geht, sondern darum, unter welchen Voraussetzungen Hilfe (Beihilfe, Assistenz) beim Selbstmord (Suizid, Selbsttötung) künftig straffrei sein soll.
Wenn es um „straffreie Beihilfe“ zur Selbsttötung geht, muss die Haupthandlung, das Menschenrecht „Selbsttötung“ sowohl ermöglicht als auch straffrei sein. Deshalb muss der Gesetzgeber zuerst straffreien Suizid definieren, indem er bestimmt welche Mittel er für Selbsttötung zulässt (Substanzen, Vorrichtungen etc.) und wie er den Zugang zu den erlaubten Mitteln regelt (z.B. Beantragen, Anfordern der Auslieferung, Dokumentationspflicht, etc.). Denn über „straffreie Beihilfe“ zur Selbsttötung kann nur diskutieren, wer auch Selbsttötung nicht (mehr) als strafbare Handlung sieht.
Jeder darf autonom und selbst bestimmen, was für ihn eine „ausweglose Situation“ ist, oder wann er das höchstpersönliche Recht wahrnimmt sein Leben in Würde zu beenden. Selbsttötung zu begehen, ist ein höchstpersönliches Recht, das keiner Begründung oder Rechtfertigung bedarf.
Erst nachdem die Rahmenbedingungen für Selbsttötung fixiert sind, ist die Diskussion über straffreie „Beihilfe“ sinnvoll. Jetzt gilt es festzulegen, welche Helfer straffrei bleiben sollen (zB Angehörige, gute Bekannte des Suizidenten, oder auch fremde, gewerbliche Helfer) und welche Art Hilfen (zB Herbeischaffen, Zubereiten, Darreichen des Suizidmittels, seelischer Beistand durch Anwesenheit, Begleiten ins Ausland, etc.) an welchen Orten (Spital, Pflege-, Altenheim, Hospiz, zuhause, Suizidhilfeverein, etc.) erlaubt sein sollen.
Neben Definition der legalen Selbsttötung und der Beihilfe dazu, muss der Gesetzgeber auch Schutzfunktionen wahrnehmen, indem er zB allgemeine Interessen über individuelle Interessen stellt (Sprung von der Autobahnbrücke wird verboten bleiben); gesellschaftliche Werte bewahrt [zB verhindern von unüberlegter und leichtfertiger Selbsttötung (Suizidprävention, Schuldnerberatung), Angebot von Alternativen wie Palliativmedizin] oder indem er Missbrauch vorbeugt. Unterschiedliche Vorschläge werden politisch verhandelt werden müssen.
7 Gründe, warum Ärztevertreter dafür plädieren müssten, dass Suizidhilfe für Ärzte strafbar bleibt.
- Ärzte wären schon beim Verschreiben eines Tötungsmittels genötigt, entgegen dem Ärztegesetz, entgegen ihr Disziplinarrecht und entgegen ihrem Berufsethos zu handeln.
Ärzte sind ausgebildet und verpflichtet Erkrankte zu heilen, Menschenleben zu retten oder Schmerzen zu lindern. Ärzte dürfen im Rahmen ihrer Berufsausübung straffrei „passive Sterbehilfe“ (gemäß Patientenwillen) und „indirekte Sterbehilfe“ leisten. Ein Arzt kann aber nicht straffrei bleiben, der beruflich wissentlich oder willentlich dazu beiträgt menschliches Leben zu beenden. Selbsttötung muss Selbsttötung bleiben, und darf nicht zur Tötung durch den Arzt werden.
Das Argument, dass wie auch bei der Fristenlösung, kein Arzt gezwungen werden wird, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten, geht ist Leere. Ein Vergleich mit der Diskussion um den seinerzeitigen § 144 StGB ist obsolet. Beim Schwangerschaftsabbruch bedarf es ärztlicher Hilfe, um Gesundheit und Leben der Schwangeren zu schützen. Das sind Ziele, deren Erreichen zu ärztlichen Tätigkeiten zählen (§ 2 Ärztegesetz). Die zahnlosen Zusätze [§ 97 (2) und (3) StGB], dass kein Arzt zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs verpflichtet ist oder er aus der Weigerung einen solchen vorzunehmen einen Nachteil haben darf, sind bloß leere Lippenbekenntnisse, weil ein Zuwiderhandeln nicht bestraft wird. In manchen Spitälern kann Kolleg*innen der Ausbildungsplatz oder der Verbleib im Spital verwehrt werden, sofern sie sich weigern Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Der Beweis dafür ist ja kaum zu erbringen und falls doch, wird weder der Abteilungsvorstand noch der Spitalsbetreiber dafür zur Verantwortung gezogen.
Es liegt in der Verantwortung des Staates dem Selbsttötungswilligen sein „würdiges“ Lebensende zu ermöglichen. Jeder Suizidwillige muss die Sicherheit haben, sich zu gegebener Zeit selbst ein legales Suizidmittel beschaffen zu können, ohne dass er dafür illegales ärztliches Zutun braucht. Der Staat darf sich seiner Verantwortung nicht entledigen, indem Ärzte Suizidmittel in Form einer tödlichen Überdosis eines Medikaments verordnen müssen oder ein Mittel in Form der verbotenen off-label Anwendung verschreiben. - Um Gewissensfreiheit der Ärzte abzusichern.
- Um die Bevölkerung nicht in dem Irrtum zu belassen, dass Ärzte bei der Selbsttötung helfen könnten.
- Damit niemand erwarten oder gar verlangen kann, unter dem Deckmantel „assistierter Suizid“ von einem Arzt zB eine tötende Injektion oder Infusion zu bekommen (§77 StGB),
- Damit gewerbliche Suizidhelfer ihrem rein ökonomischen Geschäftsmodell nicht eine „ärztliche Fassade“ vorzusetzen können,
- Um künftig Ansinnen an Ärzte zu unterbinden, wie sie der Verein für selbstbestimmtes Sterben (ÄSBG) beschreibt,
- Um Missbrauch durch Ärzte vorzubeugen die sich Suizidhelfer nennen, in Wahrheit aber als Sterbehelfer aktiv sind.
Somit könnte § 78 StGB durch Hinzufügen von Fall 2 mit folgender Formulierung angepasst werden: „oder ihm ‚außerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten‘ dazu Hilfe leistet“.
Weitere Ausführungen im Beitrag „Sterbehilfe am Lebensende“ (österreichische Richterzeitung 1-2/2021), der auf meiner Website https://dasalter.com/vfgh-kippt-%c2%a7-78-stgb/ zum Download bereit steht. Die Originalfassung meiner Stellungnahme an das BM für Justiz zum Dialogforum-Sterbehilfe ist hier nachzulesen.