Wissen aus dem Internet zum Arzt bringen

Durch im Internet erlangtes medizinisches Wissen, das ein Patient „in die Arztordination mitbringt“, führt der Patient – in einem Ausmaß, das für ihn vielleicht gar nicht abschätzbar ist – den Arzt gedanklich zu einer Fülle von Details, die dem Patient nicht auffallen. Jetzt aber, da diese Details „hervordiskutiert“ wurden, öffnen sie dem Arzt Optionen auch für ganz seltene Diagnosen. Das nimmt dem Arzt Sicherheit, und er beginnt unbewusst an seiner ersten, richtigen Diagnose oder Therapie zu zweifeln.

Ich möchte das an einem Beispiel erläutern: jemand kommt z.B. mit der Beschwerde Kopfschmerz in die Ordination; in den meisten Fällen ist es nicht notwendig und nicht üblich deshalb eine CT oder eine MRT zu machen, um einen Kopftumor auszuschließen. Hat sich der Patient aber zuvor über Astrozytome, Gliome und sonstige Kopftumore im Internet „eingelesen“ und hält dem Arzt daraus das eine oder andere Symptom (in Verbindung mit dem Gelesenen) hin, damit der Arzt die Diagnose „Tumor“ ausschließt, entkräftet oder „nicht übersieht“, dann wird vielleicht verständlich, warum sich der Arzt nicht mehr auf seine – meist richtige – Intuition und seine Erfahrung verlassen möchte. Solch ein in den Raum ge­stelltes Detailsymptom könnte nämlich bedeuten, dass … . Weil der Patient dem Arzt nicht seine Hauptbeschwerde(n) schildert, sondern das Internet ihn auf die „Idee“ gebracht hat, was auch noch zu bedenken wäre, wird der Patient jetzt sicher nicht mit dem erwarteten kompetenten und eindeutigen Rat zur Lösung seines medizinischen Problems nach Hause gehen. Das liegt einfach schon in der Tatsache, dass der Arzt nun eine Reihe von Untersuchungen machen lässt (auf deren Ergebnis gewartet wird), um vom Patient ange­sprochene, „verdächtige“ Symptome abzuklären.

Das also kann geschehen, wenn ein Patient den Arzt durch ungefilterte medizinische Infos aus dem Internet aus seiner Routine holt. Das „passiert“ nicht unsicheren, sondern vielmehr gewissenhaften Ärzten mit großem Wissen. Denn nur diese Ärzte wissen auch, welche Möglichkeiten sie ausschließen müssen.

Sich seiner Diagnose oder Behandlung wegen beachten von „unnötigen“ Details nicht mehr sicher zu sein, das erfährt jeder Arzt der eines seiner Familienmitglieder behandelt. Wegen der Befürchtung nur ja nichts zu übersehen, verlässt er sich nicht mehr auf sein Können und seine Erfahrung, sondern ist damit beschäftigt, sich an alles jemals Gelernte zu erinnern. (Deshalb legt man Behandlung von Familienangehörigen oder seine eigene Behandlung besser in die Hände von Kollegen.)

Bei Behandlung eines Familienmitgliedes kommt noch hinzu, dass zwischen Arzt und Patient auch der nötige Abstand fehlt. Jedem Patient sollte klar sein, dass er durch bewusste oder unbewusste Reduktion des für ärztliche Behandlung notwendigen „Respektabstandes“ gewisse Abstriche von der Effektivität der Behandlung bewirkt und diese in Kauf zu nehmen hat. Es liegt also an der Feinfühlig­keit eines Patienten, notwendige Grenzen bestehen zu lassen, wenn man von seinem Arzt die Behandlung eines Fachmannes wünscht. Sucht man den Arzt aber auf, dass er einem bestätigt, richtige Infos aus dem Internet zusammengetragen zu haben (vgl. „social Media und Internet, eine neue Dialogform?“), so ist das zwar auch in Ordnung, aber dann hatte der Arztbesuch wohl nicht den Grund eine Diagnose und Therapie seiner Beschwerde(n) zu bekommen und wieder beruhigt nach Hause gehen zu können.

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