Mutter-Sohn-Beziehung

Heute möchte ich zwei Beispiele für Mutter-Sohn-Beziehungen bringen. Beide Mütter waren zum Zeitpunkt, als sich die Geschichten zugetragen haben schon weit über 90 Jahre alt und die beiden Söhne waren auch schon jeweils kurz vor ihrer Pensionierung. Beide Söhne standen in der Öffentlichkeit und waren sehr angehsehene Persönlichkeiten.

Der eine wurde in seiner Mittagspause von seinem Chauffeur zur Mutter gefahren. Er betrat das Zimmer der Mutter und sein Selbstvertrauen schwand auf eine Höhe, dass er „aufrecht unter einem Teppich hätte durchgehen können“. Er sagte „Küss die Hand, Mama“, setzte sich meistens auf einen Sessel, war nicht sehr gesprächig und man konnte ihm ansehen und förmlich spüren, wie peinlich ihm die Situation war. Er war kaum imstande mit der Mutter zu sprechen. Einverstanden das waren Generationen, die zu ihren Eltern gelegentlich noch „Sie“ sagten und sie auch manchmal noch in der dritten Person angesprochen haben. Aber trotzdem – er saß wie ein kleiner Schuljunge vor der alten, ehrwürdigen Mutter, die ich – als ihr behandelnder Arzt – eigentlich als sehr freundlich und warmherzig erlebte. Als ich erfahren hatte, dass sie früher gerne gestickt hat, bat ich sie, für mich eine Handarbeit zu machen. Ich habe den bestickten Kleiderhaken heute noch und jedesmal wenn ich ihn (an)sehe, fällt mir die alte Dame ein, die ihn mir mit ihren zarten, durch Arthrosen deformierten Fingern gestickt hat, und mit welchem Funkeln in den Augen sie mir den Kleiderhaken übergeben hat. Ich war damals gut 20 Jahre jünger als der Sohn der Dame. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass dieser Sohn (der fast täglich im Fernsehen zu sehen war) mit größtem Respekt zu mir aufschaute, wie es mir gelang mit seiner Mutter „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren.

Die zweite Geschichte: Er war selbst Vater von – wenn ich mich nicht irre – bereits fünf erwachsenen Kindern. Er war immer sehr betroffen, wenn ich ihm mitteilte, dass es der (schwer herzkranken) Mutter vorübergehend nicht sehr gut gehe. Als es der Mutter aber eines Tages nicht nur nicht sehr gut ging, sondern sich ihr Zustand deutlich verschlechterte, bat ich den Sohn (natürlich in Begleitung seiner Gattin) zu mir, um ihn auch auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass es sein könnte, dass die über 90 Jährige Mutter das derzeitige Geschehen nicht überleben wird. Das ging ihm derart nahe, dass er einige Tage später – ganz plötzlich und unerwartet – an einem Herzinfarkt verstarb. Die Mutter lebte danach noch ca. 6 Monate.

Wir kennen alle die Situationen da Mütter ihre (meist) erstgeborenen und/oder einzigen Söhne in eine Beziehung verwickeln, die sich nicht unbedingt zum Vorteil der Söhne darstellt. Sie können Probleme mit ihren Kameraden entwickeln, als „Muttersöhnchen“ attributiert werden, Probleme bei der Partnerwahl haben, zwischen Gattin und „Schwiegermutter“ zermalmt werden usw. usf. Nun eine derartige Beziehung zeigt ihre Eigenheiten natürlich auch im Alter. Das wollte ich mit den beiden geschilderten Geschichten zeigen. Es gibt – und ich werde auch darüber schreiben – natürlich auch das Pendant bei Töchtern.

Tipp:     Bei allem Respekt und aller Ehre, die man den Eltern entgegenbringen soll und entgegenbringen muss, darf man aber nicht „vergessen“, sein eigenes Leben zu leben. Man hat sich selbst und seiner eigenen Familie gegenüber eine Verantwortung zu tragen, sodass jede ‚Investition’ (z. B. überlange und zu häufige Besuche, Füttern, überreden/überzeugen von alten Eltern) die nur viel Substanz kostet und in Wahrheit niemandem nützt dafür aber vielen nachhaltig schadet, logisch beleuchtet werden sollte (am besten mit dem Ehepartner, einem guten Freund oder mit dem Geriater diskutieren) und auf deren Notwendigkeit hinterfragt werden soll.

2 Gedanken zu „Mutter-Sohn-Beziehung“

  1. Lieber Herr Dr. Margula,

    Auch vom Standpunkt der Verhandlungsbeziehungen haben Sie hier interessante Beobachtungen geschildert. Menschen verhandeln von einem extrem frühen Zeitpunkt heraus miteinander und die eigene Mutter ist wohl die erste „Verhandlungspartnerin“. Was muss ich geben, um Essen zu erhalten? Ein Lächeln? Oder besser schreien? Leise sein oder besser quälend? Diese Beziehung wird im Laufe der Jahre ständig verändert und sollte sich – wie es in der Entwicklungspsychologie hinreichend geschildert wird – ändern und wachsen. Offensichtlich ist das nicht immer der Fall, was leider oft negative Folgen für beide Beteiligten hat. Interessant wie schwer es doch sein kann, frühkindlich gelernte Verhaltensmuster abzulegen und, wie Sie ganz treffend anmerken, für Außenstehende oft sehr verblüffend….

    Dr. Amin Talab /www.verhandlungsmeister.com

    1. Danke für Ihren Kommentar. Er zeigt mir wie universell Geriatrie angewendet werden kann. Ein Zweck dieses Blogs ist es auch lebensnahe Denkanstöße für viele Bereiche zu geben.

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